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OBS-Studie: Twitter-Euphorie unbegründet – und mehr Mythos als Realität

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Frankfurt am Main, den 6.10.2016. Die Kommunikation politischer Themen über Twitter wird in ihren Möglichkeiten überschätzt. Das Versprechen, über das soziale Netzwerk in das Zeitalter der digitalen Demokratie und der herrschaftsfreien Kommunikation einzutreten, erweist sich bisher als unrealistisch. Etablierte Gatekeeper dominieren nach wie vor die politische Kommunikation. Ihre Präsenz und Kompetenz setzen der gleichberechtigten Kommunikation Grenzen. Auch „mehr Partizipation“ und „Beteiligung aller“ bleiben (vorerst noch) Illusion. Zu diesen Ergebnissen kommt „#MythosTwitter“, eine neue medienkritische Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS).

Mathias König und Wolfgang König, die Autoren der innovativen Untersuchung, haben über einen mehrtägigen Zeitraum drei unterschiedliche politische Hashtags analysiert. Das Ergebnis ihrer Fallstudien ist ernüchternd: „Letztlich zeigt sich, dass ein Hashtag in Twitter dann erfolgreich ist, wenn traditionelle Medien involviert oder relevante Kommunikatoren beteiligt sind“, bilanziert das junge Team, das sich mit Kommunikationsstudien an der Uni Landau profiliert und einen Namen gemacht hat.

Twitter-Trends sind nicht transparent

Twitter, so die Autoren, kann durch die Kennzeichnung eines Hashtags als Trend dessen Popularität maßgeblich mitbestimmen - ist dabei aber nicht transparent, so lautet ein Ergebnis der Studie. Untersucht wurden die Hashtags #klöckner, #landaulandunter sowie #flüchtlinge. Die ersten beiden Hashtags wurden von Twitter am jeweiligen Untersuchungstag als Trending-Topic ausgewiesen, obwohl die Zahl der Tweets am Untersuchungstag sehr begrenzt blieb (656 Tweets  von 119 Nutzern bei #landaulandunter). #Flüchtlinge hatte am Untersuchungstag deutlich mehr Tweets (2303) von 1254 Nutzern, wurde aber nicht als Trend markiert. „Twitter macht nicht transparent, auf welchen Kriterien die Trends beruhen. Trotzdem werden Trends journalistisch als Nachrichtenwert wahrgenommen. Das ist problematisch, weil Twitter die Aufmerksamkeit auf Hashtags lenkt, bei denen man anzweifeln könnte, ob mehrere hundert Tweets wirklich ein ‚Trend‘ sind“, so das Forscherteam. Die Studie bekräftigt somit an realen Fällen Einsichten, wie sie auch Miriam Meckels Experiment mit dem #linkemeerheit kürzlich gewann. Ohne großen Aufwand gelang es ihr mit zwanzig Mitstreitern, diesen Nonsens-Hashtag zum Twitter-Trend zu machen.

Technische Chancengleichheit nicht gegeben

Kritisch sehen die Forscher auch, dass Twitter in diesem Kontext selbst Akteur ist. Die Reichweite von Tweets kann in der Twitter-Suchfunktion technisch beschnitten werden. Nach welchen Kriterien dies geschieht ist aber völlig unklar. Zudem sind auch Bots aktiv, die automatisiert twittern und damit die Aufmerksamkeit auf bestimmte Nutzer lenken. In der Untersuchung fand sich bei #klöckner sowie bei #flüchtlinge u.a. ein Bot, der bestimmte Tweets der CDU retweetet. Diese Form der Aufmerksamkeitsgenerierung steht den wenigstens Twitter-Nutzern zur Verfügung. „Ein Dilemma bei der journalistischen Twitter-Berichterstattung besteht darin, dass die technische Machtoption von Twitter oder auch von Bots nur am Rande thematisiert wird. Der Mythos, dass alle gleichberechtigt via Twitter kommunizieren könnten, bleibt dadurch bestehen“, urteilen die Forscher.

Journalisten und Twitter übernehmen die Kommunikationskontrolle

In allen untersuchten Fällen zeigt sich zudem, dass professionelle Journalisten bzw. etablierte Medien auch in der Twitter-Kommunikation die zentralen Akteure sind. Eine Untersuchung der zum jeweiligen Hashtag viralsten Nutzer macht deutlich, dass hier die „klassischen“ Medienmacher sehr präsent sind. Viral geht ein Hashtag erst, wenn er durch die traditionellen Gatekeeper aufgegriffen wird - und dies wird oftmals von den beteiligten Akteuren auch bewusst genutzt. Auch die Analyse der Retweet-Netzwerke der 100 aktivsten Nutzer deutet Vermachtungstendenzen an: Eine starke Fragmentierung der Tweet- und Retweet-Vergabe weist auf klar verteilte Rollen als Sprecher und Zuhörer hin - das Gegenteil von einem herrschaftsfreien Diskurs.

Anspruch versus Wirklichkeit

„Angesichts der steigenden Bedeutung von Twitter in der Öffentlichkeit und der geringen Kenntnisse über dessen Funktionsweise ist eine kritische Überprüfung von Anspruch und Wirklichkeit dringend geboten“, meint Jupp Legrand, Geschäftsführer der OBS. Weitere Forschung sei erforderlich und gewünscht, um die unerwarteten Ergebnisse und die vorläufigen Schlüsse der Studie überprüfen zu können.

Matthias König, Wolfgang König: 
"#MythosTwitter – Chancen und Grenzen eines sozialen Mediums“, OBS Arbeitspapier Nr. 24

Informationen und Download: www.otto-brenner-stiftung.de

Kontakt:
Jupp Legrand
OBS-Geschäftsführer
Telefon: 069 - 6693 2810
E-Mail: info(at)otto-brenner-stiftung.de
 

Autoren:
Wolfgang König
wolfgang-koenig(at)outlook.com

Informationen zum Arbeitspapier 24