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Pressemitteilung

Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren

+++ Die Reportage-Formate von funk gehören zu den erfolgreichsten Produktionen des öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks +++ OBS-Studie analysiert erstmals alle Beiträge zwischen 2016 und 2022 von Y-Kollektiv, STRG_F, reporter, follow me.reports und Die Frage +++ Ergebnis: die Formate nutzen eine ungewöhnliche Journalismus-Form, sind dabei aber in sich geschlossen und kohärent +++ Erzählerische Tiefe und authentische Subjektivität sind Stärken der Beiträge +++ Empirischer Befund zeigt aber auch Lücken in der Darstellung und identifiziert thematische sowie geografische Verengung als Schwachstellen +++

Die bekannten Reportage-Formate Y-Kollektiv, STRG_F, reporter, follow me.reports und Die Frage gelten als innovative Aushängeschilder des jungen öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks funk. Sie alle praktizieren eine sehr spezielle Form des Journalismus, die auf offenen ‚Subjektivismus‘ und eine konsequente Personalisierung setzt. Diese Merkmale gelten vielen als Faktoren für ihren messbaren Publikumserfolg, sind aber auch immer wieder Anlass für scharfe Kritik. Die neue Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) „Journalistische Grenzgänger. Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren“ hat erstmals medienwissenschaftlich die journalistische Machart und Qualität der Dokumentationen untersucht. Das Ergebnis: Überwiegend gelingt es den Angeboten, kohärente Beiträge zu produzieren und die Stärken ihres journalistischen ‚Subgenres‘ auszuspielen. Hinsichtlich Themenauswahl, Ereignisorten und qualitativen Ansprüchen besteht jedoch Verbesserungsbedarf.

„Fast 80 Prozent der Beiträge von Y-Kollektiv & Co. sind als ‚New Journalism‘ zu qualifizieren. Diese kontrovers diskutierte journalistische Strömung wurde in den 1970er Jahren durch Autoren wie Hunter S. Thompson und Norman Mailer berüchtigt“, so Autor Janis Brinkmann, Professor für Publizistik in der digitalen Informationswirtschaft an der Hochschule Mittweida (FH). „Das Subgenre bricht mit vielen der ‚klassischen‘ journalistischen Normen und setzt statt auf nüchterne Information radikal auf Subjektivität, Personalisierung und Emotionen.“ Dadurch erreiche man eine erzählerische Tiefe und Authentizität, die in informationsjournalistischen oder klassisch investigativen Angeboten kaum zu realisieren sei, so Brinkmann weiter. Als Konsequenz müssen aus Sicht des Autors viele Befunde der Studie – etwa über die permanente subjektive Tendenz der Beiträge (97,1 Prozent) oder die gefühlsorientierte Aufbereitung der Themen (90,6 Prozent) – als Ausweis der Kohärenz dieses speziellen journalistischen Reportage-Ansatzes verstanden werden.

Für die innovative Untersuchung wurden erstmals alle YouTube-Beiträge der Formate von ihrem „Sendestart“ 2016 bis April 2022, insgesamt 1.155 Filme und mehr als 325 Stunden Videomaterial, analysiert. Die Studie legt dabei Befunde vor, die auch kritische Aspekte betonen. „Lebensweltliche und zielgruppenspezifische Themen wie ‚Gesundheit‘, ‚Partnerschaft‘ oder ‚Kriminalität‘ machen mehr als 40 Prozent der Beiträge aus. Währenddessen adressiert nicht einmal jeder Fünfte politische und nicht einmal jeder Zwanzigste wirtschaftliche Themen. Das erscheint mir diskussionswürdig“, bilanziert Jupp Legrand, Geschäftsführer der OBS. Öffentlich-rechtliche Angebote müssten ihre Themen schließlich, so Legrand, „immer auch nach gesellschaftlicher Relevanz filtern“ und dürften sich „weder antizipierten Publikumswünschen noch algorithmischen Anreizen unterwerfen.“ Den untersuchten Formaten gelänge dies offensichtlich nicht immer. Hinsichtlich der Orte und Regionen kreieren die Formate ein eigenes Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit: Die meisten lokalisierbaren Beiträge sind in Großstädten angesiedelt. Ostdeutsche Bundesländer (ohne Berlin) kommen in weniger als fünf Prozent vor. Zugleich zeigen die Ergebnisse, dass auch europäische und internationale Perspektiven (14 Prozent) stark vernachlässigt werden. Handwerkliches Verbesserungspotential sieht die Studie bei der Transparenz und Reflexivität der Beiträge. „Durch das teilweise Ausklammern der großen, internationalen Welt als auch der kleinen, eher dörflichen Sozialräume, reproduzieren die jungen und innovativen Formate erstaunlicherweise klassische blinde Flecken der ‚alten’ Medienwelt“, resümiert Janis Brinkmann.

In der grundsätzlicheren Frage, ob ein öffentlich-rechtliches und mit Gebühren finanziertes Jugendangebot, wie die Reportage-Formate von funk, eine so spezielle Form des Journalismus überhaupt in den Mittelpunkt seiner Angebote stellen sollte, verweisen Autor und OBS auf die Notwendigkeit weiterer Debatten. „Die angekündigte ‚Neuerfindung‘ von funk, die durch das ‚Herauswachsen‘ einiger Reportage-Formate und ihrer Zuschauer:innen aus der anvisierten Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen notwendig wird, sollte jedoch mindestens genutzt werden, um die aufgezeigten Kritikpunkte anzugehen“, so Jupp Legrand.

Janis Brinkmann: Journalistische Grenzgänger. Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren, OBS-Arbeitsheft 111, Frankfurt am Main, Mai 2023

 

Pressemitteilung als PDF-Datei

OBS-Arbeitsheft 111 als pdf
Kurzfassung OBS-Arbeitsheft 111 als pdf


Kontakt zum Autor:
Prof. Dr. phil. Janis Brinkmann
Professur für Publizistik in der digitalen Informationswirtschaft
Hochschule Mittweida (FH)
E-Mail: brinkma1(at)hs-mittweida.de

Kontakt:

Otto Brenner Stiftung
Geschäftsführer
Jupp Legrand
Telefon: 069 - 6693 2808
E-Mail: info(at)otto-brenner-stiftung.de
www.otto-brenner-stiftung.de
Twitter: @OBSFrankfurt

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