Das Weltwissen im Visier von Unternehmen
Die „Mitmach-Enzyklopädie“ Wikipedia gehört weltweit zu den Top Ten der beliebtesten Internetseiten. Tag für Tag nutzen Millionen von Menschen Wikipedia als Informationsquelle. Was YouTube für Videos und Google für Kurzinfos ist, ist Wikipedia für „gespeichertes“ Wissen: jederzeit abrufbar, weltweit präsent, prägend für das Internet-Zeitalter. Der Einfluss von Wikipedia auf die Meinungsbildung der Öffentlichkeit wächst stetig. Im seltsamen Kontrast zu dem ungebrochenen Siegeszug von Wikipedia als Informations-, Orientierungs- und Deutungsquelle steht die interne Struktur von Wikipedia, die es bisher nicht vermag, „PR in Wikipedia effektiv zu verhindern und Manipulationen in Wikipedia wirksam zu unterbinden.“
Das ist ein Fazit der neuen OBS-Studie über „Verdeckte PR in Wikipedia“. „Je länger ich mich mit dem Thema Wikipedia beschäftigt habe, desto mehr habe ich den Eindruck gewonnen, dass PR in Wikipedia weit verbreitet ist. Es gibt einen regelrechten Markt darum“, sagt der Autor der Studie, Marvin Oppong. Der Journalist und Dozent hat konkrete Einzelfälle recherchiert und zeigt, wie Unternehmen, Politiker und andere Akteure auf das elektronische Weltwissen Einfluss ausüben. Die „Fallstudien“, etwa zu Daimler, RWE und den Steyler Missionaren, erklären leicht nachvollziehbar und transparent, wie Wikipedia in der Praxis funktioniert und wie PR-Leute die Enzyklopädie für ihre Zwecke missbrauchen. Auch auf „Merkwürdigkeiten“ bei Änderungen des Wikipedia-Artikels zu Christian Lindner (FDP) wird eingegangen.
Ziel der Studie ist es aber nicht nur, auf die Gefahren verdeckter PR und gezielter Manipulationen hinzuweisen. Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung: „Wir wollten auch wissen, ob interne Strukturen den Missbrauch begünstigen und ob die Wikipedia-Community sich überhaupt des Problems bewusst ist“. Das Ergebnis der Studie belegt, dass die internen Strukturen bei Wikipedia gegenwärtig nicht in der Lage sind, „PR in Wikipedia effektiv zu verhindern und Manipulationen wirksam unterbinden zu können“. Der Verein Wikimedia Deutschland gehe das Thema „nur zögerlich mit einem kleinen Projekt an“, stellt Oppong fest. Und auch die Wikipedia-Community vermag es nicht, „dem Problem selbst Herr zu werden“, zieht Oppong ein weiteres Fazit. „Unternehmen, Verbände und Parteiapparate sind personell zu gut bestückt und finanziell zu gut aufgestellt, als dass die Wikipedia-Community mit ihren Freiwilligen gegen die zahlreichen Manipulationsversuche ankommen könnte.“
Aus der Beobachtung, dass die Zahl der Unternehmenspressestellen und PR-Agenturen, die unmittelbar Einfluss auf Wikipedia-Einträge ausüben, riesig groß und der harte Kern der Wikipedia-Community viel zu klein ist, um effektiv gegensteuern zu können, leiten Stiftung und Autor die Forderung nach spürbaren Konsequenzen und einem nachhaltigen Umdenken ab. Sie entwickeln zehn konkrete Verbesserungsvorschläge, wie die Chancen von Manipulationen für PR-Zwecke begrenzt werden können. „Wir wollen“, so Jupp Legrand im Vorwort der Studie, „nicht nur auf Gefahren aufmerksam machen, die mit verdeckter PR bei Wikipedia verbunden sind, sondern auch Anstöße geben, wie der Missbrauch eingedämmt werden kann“. Mit den Vorschlägen werden sowohl die Nutzer als auch die Betreiber und Autoren der Enzyklopädie angesprochen.
„Verdeckte PR in Wikipedia – Das Weltwissen im Visier von Unternehmen“ ist (mit zahlreichen Abbildungen, weiterführenden Links und einem Glossar) soeben als Arbeitsheft 76 der Otto Brenner Stiftung erschienen und wird ab sofort ausgeliefert.
Kontakt:
Otto Brenner Stiftung
Jupp Legrand
Tel.: 069-66 93-28 10
info(at)otto-brenner-stiftung.de
Autor:
Marvin Oppong
freier Journalist
Tel.: 0228-28628508
info(at)oppong.eu
Daten zur deutschsprachigen Wikipedia (Stand: Dezember 2013)
- ca. 1.700.000 enzyklopädische Artikel
- ca. 4.600.000 Seiten
- ca. 165.000 Dateien
- ca. 300 neue Artikel kommen täglich dazu
- ca. 6.200 aktive Autoren
Daten zur 2001 gegründeten Wikipedia (weltweit)
- ca. 500.000.000 Menschen nutzen monatlich Wikipedia
- ca. 25.000.000 Artikel sind abrufbar
- ca. 280 Sprachen