+++ Die OBS analysiert aktuelle Vorschläge für eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems (ÖRR) +++ Eine nachhaltige Reform ist notwendig, denn ARD, ZDF und Deutschlandradio müssen Vertrauen der Bürger*innen zurückgewinnen und stehen vor großen Herausforderungen +++ Die Studie untersucht relevante Reformvorschläge, ordnet sie medienpolitisch ein und prüft ihre Umsetzbarkeit +++ Schwerpunkt bilden die Vorschläge des Zukunftsrats und der Rundfunkkommission der Länder +++ Autor Kalbhenn identifiziert Leerstellen und gibt eigene Empfehlungen +++ Perspektiven von Beschäftigten kommen bisher viel zu kurz +++
Die digitale Transformation, die Dominanz von privaten Online-Plattformen, veränderte Mediennutzungsgewohnheiten, sinkendes Vertrauen des Publikums und wachsende Kritik der Öffentlichkeit: Es sind große Herausforderungen, mit denen sich die öffentlich-rechtlichen Medien seit Jahren konfrontiert sehen. Um ihrem demokratiestärkenden Auftrag, der im Grundgesetz festgeschrieben ist, auch in Zukunft gerecht werden zu können, müssen sich ARD, ZDF und Deutschlandradio nachhaltig verändern. Doch sind sie allein nicht in der Lage dazu. Motor einer gesetzlichen Reform sind im föderalen System die Bundesländer. Sie setzen den rechtlichen Rahmen, in dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine demokratischen Potenziale entfalten kann. So lautet ein zentrales Ergebnis der aktuellen Studie „ARD, ZDF und DLR im Wandel“, die die Otto Brenner Stiftung heute veröffentlicht.
In der Untersuchung zeichnet der Medienrechtler Jan Christopher Kalbhenn (Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung) einige Reformschritte nach und stellt aktuelle Reformvorschläge auf den Prüfstand. Ziel jeder Reformanstrengung muss es aus Sicht des Autors sein, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für die Zukunft so aufzustellen, dass er der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachkommt und seinen Informations- und Bildungsauftrag erfüllt. Dazu analysiert der OBS-Autor geeignete Reformvorschläge und ordnet diese medienrechtlich ein. Er weist auf Leerstellen hin, gibt Empfehlungen für die Gesetzgebung der Bundesländer, bringt ungenutzte Spielräume und Gestaltungsmöglichkeiten der Sender in Erinnerung und benennt Aufgaben der Aufsichts- und Kontrollgremien. In der Studie wird gefragt, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Herausforderung gerecht werden kann, ein „vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht“ (Bundesverfassungsgericht) zu den von kommerziellen Interessen geprägten privaten Medien zu bilden. Die kulturell-föderale Vielfalt könnte im Medienstaatsvertrag gesetzlich verankert werden. Außerdem sollten technologieneutrale Maßnahmen formuliert und Restriktionen im Onlinebereich abgeschafft werden. „Auf welche Weise der Auftrag erfüllt wird, wäre damit weitestgehend Aufgabe der Rundfunkanstalten. Diese sollen dann selbst entscheiden, auf welchem Weg die Inhalte am besten zu den Nutzer*innen gelangen“, unterstreicht OBS-Studienautor Kalbhenn.
Als weiterer Gesichtspunkt wird empfohlen, die öffentlich-rechtlichen Sender auf einheitliche Qualitätsstandards zu verpflichten: „Für die Weiterentwicklung der Qualitätsstandards im öffentlich-rechtlichen Rundfunk könnte es hilfreich sein, ARD, ZDF und Deutschlandradio zu verpflichten, gemeinsame überprüfbare Qualitätskriterien und Zielgruppen zu definieren.“ Zur Begründung wird herausgestellt, dass es in einem System, in dem grundsätzlich alle Haushalte den gleichen Beitrag zahlen, keinen Grund für unterschiedliche Qualitätsstandards gibt.
Ein wichtiger Fokus der ÖRR-Reform muss laut Studie in der Stärkung der regionalen Vielfalt und Berichterstattung liegen. Nach Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, müsse der Gesetzgeber besonders darauf achten, „dass die ohnehin ausgedünnte lokale und regionale Berichterstattung wieder gestärkt wird“. Es sei eine überlebenswichtige Notwendigkeit für alle medialen Anbieter, eine solide Grundversorgung mit lokaler und regionaler Berichterstattung dauerhaft sicherzustellen. Anstatt sich im Streit über das „Presseähnlichkeitsverbot“ zu verzetteln, müsse es um Ideen gehen, wie die bedrohte Demokratie auch dort gestärkt werden kann, wo die „vierte Säule“ medial auszutrocknen droht. Legrand fordert, den Fokus „gesetzgeberisch auf Kooperationen zwischen Presse und Rundfunk zu legen“.
In der OBS-Studie werden Doppel- und Mehrfachstrukturen zwischen den Rundfunkanstalten insbesondere dort, wo sie nicht die redaktionelle Autonomie berühren, kritisiert: Unnötige Mehrfachstrukturen, insbesondere im technischen Bereich und der Verwaltung sollten schleunigst abgebaut werden, heißt es in dem Arbeitspapier der OBS. Es gelte aber, im redaktionellen Bereich die Programmautonomie zu achten, Vielfalt sollte nicht reduziert werden. Vereinheitlichung oder Zusammenlegung seien insbesondere im Bereich der technischen Infrastruktur sinnvoll. „Gemeinsame vereinheitlichte Datenbanken und Content-Pools sollten es anstaltsübergreifend ermöglichen, Videomaterial und andere Inhalte schneller und effektiver auszutauschen“, schreibt Kalbhenn und ergänzt, dass möglichst umgehend „eine gemeinsame technische Plattform im Medienstaatsvertrag beauftragt werden sollte“.
Dass die Rundfunkanstalten, die wesentlich aus einer öffentlichen Abgabe finanziert werden, es bei der Verwendung ihrer finanziellen Mittel für Rechte und Programm immer noch an Transparenz vermissen lassen, untergräbt das Vertrauen in den ÖRR, sind sich Autor und Stiftung einig. Sie weisen in der Studie noch auf weitere Defizite und Leerstellen bisheriger Reformüberlegungen hin. Sie kritisieren insbesondere, dass die zahlreichen Beschäftigtengruppen der Rundfunkanstalten im Prozess der Neujustierung bisher wenig Gehör finden und so ihre Erfahrungen oder Reformperspektiven kaum einbringen können.
Mit einer leserfreundlichen Synopse der analysierten Reformvorschläge von Zukunftsrat und Länder-Rundfunkkommission, die um Empfehlungen des Autors erweitert werden, wendet sich die Studie an Medienakteur*innen und an alle, die sich für ÖRR-Reformen interessieren.
Jan Christopher Kalbhenn: ARD, ZDF und DLR im Wandel - Reformideen und Zukunftsperspektiven, OBS-Arbeitspapier 69; Frankfurt am Main, August 2024
Kontakt zum Autor:
Dr. Jan Christopher Kalbhenn, LL.M.
E-Mail: kalbhenn(at)uni-muenster.de
Kontakt zur Otto Brenner Stiftung:
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