+++ OBS-Arbeitspapier analysiert Radikalisierung der AfD +++ Die extreme Rechte dominiert inzwischen ihre strategische Ausrichtung +++ Die Wählerschaft der AfD ist durch eine schwache soziale Stellung geprägt und zeichnet sich durch antiliberale Einstellungen aus +++ Das autokratische Gesellschaftsmodell Russlands ist ein ideologischer Fixpunkt der Partei +++ Im Vorfeld des Parteitages werden Verbotsanträge laut +++ Umgang mit ihr bleibt umstritten +++
Die strukturellen Entwicklungen der vergangenen Jahre waren prägend und wegweisend für die aktuelle Lage der AfD. Vor ihrem Parteitag Ende Juli scheint es den parteiinternen extrem rechten Netzwerken nach langen Richtungskämpfen in der Pandemie-Zeit endgültig gelungen zu sein, die strategische Vorreiterrolle in der Partei zu übernehmen. Das ist ein zentrales Ergebnis der heute von der Otto Brenner Stiftung (OBS) veröffentlichten Studie „Radikalisiert und etabliert“. Die Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder (Uni Kassel) und Bernhard Weßels (WZB) zeigen in ihrer aktuellen Bestandsaufnahme die AfD als eine Partei der „Metamorphosen“, die in Putins autoritärer und antiliberaler Politik einen ideologischen Fixpunkt findet. Dies wird nicht zuletzt in der derzeitigen Inszenierung der Partei als kriegskritische Kraft deutlich, der mit einem intensiven Einsatz für russische Interessen verbunden wird. Ausführlich arbeiten die Autoren die engen Verbindungen heraus, die bereits seit Jahren zwischen AfD und Russland bestehen und die Übernahme zentraler russischer Narrative begünstigen.
Die Untersuchung zeichnet nach, wie sich die AfD seit ihrer Gründung immer weiter radikalisiert und sich zugleich im deutschen Parteiensystem etabliert hat. „Die Parlamentarisierung hat aufgrund der bemerkenswert geringen Anzahl an Mitgliedern eine zentrale Bedeutung für die Partei. Denn die Mittel, die hierüber generiert werden, sind neben privaten Spenden eine Haupteinnahmequelle“, so Co-Autor Wolfgang Schroeder. „Gleichzeitig hat die Partei kein Interesse an sachlicher parlamentarischer Arbeit. Vielmehr wird das Plenum genutzt, um sich dort als Fundamentalopposition zu inszenieren“, so der Politikwissenschaftler. „Man könnte bei der AfD leicht überspitzt von einer staatlich finanzierten Männerpartei sprechen“, ergänzt OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand, „denn sowohl unter den Wählenden als auch unter den Mitgliedern ist der Anteil an Männern besonders hoch.“ So war die AfD beispielweise bei den letzten beiden Bundestagswahlen jeweils die stärkste Partei unter den wählenden Männern in Ostdeutschland.
Eingehend analysiert die Studie die Entwicklung der Wählerschaft der Partei. Deutlich wird, dass diese durch eine schwache ökonomische Stellung und eine geringe zivilgesellschaftliche Integration gekennzeichnet ist. Die Arbeitslosigkeit ist unter AfD-Wählenden im Vergleich zu anderen Parteien fast doppelt so stark ausgeprägt. Auch sind sie seltener Mitglied in Vereinen oder Verbänden. „Die AfD spricht vor allem Wähler*innen an, die sich von anderen Parteien nicht vertreten und politisch desillusioniert fühlen“, resümiert Co-Autor Bernhard Weßels die Ergebnisse. Misstrauen gegenüber den demokratischen Institutionen und Verfahren ist in der AfD-Wählerschaft stark ausgeprägt. „Das heißt jedoch nicht, dass die Wahlentscheidung für die AfD allein Ausdruck von Protest und Orientierungslosigkeit sei“, so Weßels weiter. Im Gegenteil: Die Studie zeigt, dass diese oft vertretene These empirisch nicht haltbar ist. Vielmehr sind es substanzielle Zielsetzungen, die zu einer Wahl der Partei motivieren. AfD-Wähler*innen lehnen überdurchschnittlich häufig Maßnahmen zur Gleichstellung ab und vertreten ethnozentrische Einstellungen. Bei der Bundestagswahl 2021 gaben 90 Prozent von ihnen an, dass sie sich durch die Partei gut vertreten sehen.
Ausführlich beschäftigt sich das Arbeitspapier mit der Nicht-Beachtung der AfD durch den Verfassungsschutz unter Vorsitz von Hans-Georg Maaßen. Erst mit dem Führungswechsel zu Thomas Haldenwang änderte sich dies grundsätzlich. Dass die AfD seit 2021 als Verdachtsfall eingestuft wird, hat nach Ansicht der Autoren den paradoxen Effekt, dass die Partei noch offener rechtsextrem agiert: Inzwischen ist sie dazu übergegangen, sich als politisches Opfer des Verfassungsschutzes zu inszenieren. „Dies gehört zu den typischen Mustern der AfD. Dabei gelingt es der Partei immer wieder, legitime Kritik an ihr in ein Deprivationsgefühl derjenigen umzuwandeln, die sich als Unterstützer*innen der Partei ansehen“, so Wolfgang Schroeder.
Für die Demokratie ist die Zustimmung für eine sich immer weiter radikalisierende AfD eine Herausforderung, auf die noch immer keine wirksamen Antworten gefunden wurden. „Es muss besser gelingen, die Ängste und Sorgen derjenigen, die sich gerade nicht repräsentiert fühlen, demokratisch zu adressieren“, so Bernhard Weßels. „Dabei dürfen die Sorgen derjenigen nicht vergessen werden, für die die Stärke der AfD eine reale Bedrohung darstellt. Sich rhetorisch und inhaltlich der AfD anzunähern, wie es bei einigen Parteien derzeit zu beobachten ist, kann keine Lösung sein“, ergänzt Jupp Legrand. „Demokratische Antworten setzen auf Gleichheit und die Verbesserung der sozialen Infrastruktur und Mitbestimmungsmöglichkeiten für alle.“
Wolfgang Schroeder, Bernhard Weßels: Radikalisiert und etabliert. Die AfD vor dem Superwahljahr 2024, OBS-Arbeitspapier 59; Frankfurt/Main, Juli 2023
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Prof. Dr. Bernhard Weßels
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