+++ Trend zum Wählen mit 16: Wahlalter bei vielen Kommunal- und Landtagswahlen auf 16 Jahre herabgesetzt +++ Politikwissenschaftler befragten Jugendliche u.a. zum „Superwahltag“ in Berlin im September 2021 +++ Befunde: Keine Zweifel an der Befähigung 16- und 17-Jähriger zu politischer Teilhabe, aber unterschiedliche Wahlaltersgrenzen stiften Verwirrung +++ Stiftung fordert, sozialen Unterschieden etwa durch Angebote in Schulen entgegenzuwirken +++
Frankfurt, den 23. Januar 2023. Elf Bundesländer haben das Wahlalter für Kommunal- oder Landtagswahlen auf 16 Jahre gesenkt. Die Ampelkoalition möchte dies auch für Bundestagswahlen tun – hat dafür aber keine eigene verfassungsändernde Mehrheit. Dabei sorgen unterschiedliche Wahlaltersgrenzen in einem Bundesland für Verwirrung unter jungen Menschen, zeigt eine neue Studie der Otto Brenner Stiftung. Die Politikwissenschaftler Thorsten Faas, Professor an der FU Berlin, und Arndt Leininger, Inhaber der Juniorprofessur Politische Forschungsmethoden an der TU Chemnitz, befragten dafür mehr als 5.000 junge Berliner:innen zwischen 15 und 20 Jahren im Rahmen der Wahlen vom 26. September 2021. Neben den Berliner Abgeordnetenhaus- und Kommunalwahlen, die nun am 12. Februar wiederholt werden, fanden dort zeitgleich die Bundestagswahl sowie ein Volksentscheid statt. Nur für die Kommunalwahl galt das Wahlalter 16.
„Wir sehen, dass der Flickenteppich aus Wahlaltersgrenzen zu erheblichen Fehlwahrnehmungen unter jungen Menschen geführt hat“, betont Politikwissenschaftler Thorsten Faas. So zeigen die Befunde etwa, dass rund zehn Prozent der 16- und 17-Jährigen nicht von ihrer Wahlberechtigung für die Kommunalwahl wussten. Diese Problematik verschärfe sich noch unter dem Blickwinkel demokratischer Gleichheit, ergänzt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung: „Insbesondere Jugendliche, die sich selbst der ‚Unterschicht‘ zuordnen, verzeichnen die höchsten Fehlwahrnehmungen, blieben also im schlimmsten Fall den Wahlen aus Unwissenheit fern.“ Die Uneinheitlichkeit der Wahlaltersgrenzen verstärke einen allgemeinen Trend zur sozial ungleichen Wahlbeteiligung, der „besorgniserregend“ sei, so Legrand weiter. Eine stärkere egalisierende Mobilisierung über die Schulen sei bei abgesenktem Wahlalter dringend notwendig.
Zugleich bestätigt die Studie Befunde, dass die Jugendlichen hinsichtlich ihrer politischen Reife jungen Erwachsenen ebenbürtig sind. „Unsere Befragungen zeigen, dass es weiterhin wenig Anlass gibt, an der Befähigung 16- und 17-Jähriger zu politischer Teilhabe auch auf Bundesebene zu zweifeln“, führt Autor Arndt Leininger aus. Im Gegenteil, sprächen die Befunde der Studie eher dafür, das Wahlalter nicht nur und auch nicht zuerst auf kommunaler Ebene zu senken. „Emotional abgeholt“ würden junge Menschen vor allem mit einem abgesenkten Wahlalter auf Bundesebene, heißt es dazu in der Studie. Hier sei die Freude über die Wahlberechtigung bei 18-Jährigen, aber auch der Ärger über eine verweigerte Wahlmöglichkeit bei den 15- bis 17-Jährigen mit Abstand am größten. Folgerichtig spricht sich eine Mehrheit der Befragten für ein Wahlalter von 16 Jahren auf Bundesebene aus.
Ergänzt wurde die Untersuchung um eine erneute Befragung von rund 2.000 17- bis 27-Jährigen Menschen in Brandenburg und Sachsen, die bereits 2019 an der durch die Otto Brenner Stiftung geförderten ‚Jugendwahlstudie 2019‘ teilgenommen hatten. Diese hatte Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen jungen Menschen in Brandenburg, mit einem Wahlalter von 16 Jahren, und Sachsen (Wahlalter 18 Jahre) erhoben. „Die wiederholte Befragung bekräftigt die Ergebnisse der Berliner Befragung“, so Thorsten Faas, und zeigt, „dass die Unterstützung für das ‚Wählen mit 16‘ auf Bundesebene dort, wo junge Menschen bereits Erfahrungen mit dem abgesenkten Wahlalter machen konnten, deutlich größer ist.“
Sollten die Parteien der Ampelkoalition und die Union zu keiner Einigung über die Absenkung des Wahlalters im Bund kommen, wird sich die Vielfalt unterschiedlicher Wahlaltersregelungen weiter vergrößern. Damit bliebe es für junge Menschen auf absehbare Zeit unnötig schwer, beim wichtigen Thema „Wahlalter“ den Überblick zu behalten, gibt die Stiftung zu bedenken.
Thorsten Faas/Arndt Leininger: Mehr Wählen wagen? Ungleichheiten beim „Wählen ab 16“ und ihre Folgen; OBS-Arbeitspapier 56; Frankfurt/Main, Januar 2023
Kontakt:
Otto Brenner Stiftung
Geschäftsführer
Jupp Legrand
Telefon: 069 – 6693 2810
E-Mail: info(at)otto-brenner-stiftung.de
Autoren-Team:
Prof. Dr. Thorsten Faas
Freie Universität Berlin
Telefon: 030 – 838 64131
E-Mail: thorsten.faas(at)fu-berlin.de
Jun.-Prof. Arndt Leininger, Ph.D.
Technische Universität Chemnitz
Telefon: 0371 – 531 33357
E-Mail: arndt.leininger(at)phil.tu-chemnitz.de