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Pressemitteilung

Mitbestimmung im Betrieb stärkt Demokratie in Ostdeutschland

Frankfurt, 12. Dezember 2023

Neue OBS-Studie zeigt: Betriebliches Partizipationserleben fördert die Zufriedenheit mit der Demokratie in den ostdeutschen Bundesländern +++ Auch rechtsextremes Gedankengut verringert sich +++ Die Präsenz von Betriebsräten und Gewerkschaften stärkt die Beteiligungserfahrungen von Arbeitnehmern +++ Forscher adressieren Politik: Eine Förderung der institutionellen Mitbestimmung ist ein direkter Einsatz für die Demokratie +++

In Ostdeutschland prägen Transformationsprozesse, geringe Tarifbindung, eine wenig ausgeprägte Mitbestimmungskultur und ein teilweise noch patriarchaler Führungsstil weite Teile der Arbeitswelt. Dabei sinkt mit positiven Erfahrungen demokratischer Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz die Zustimmung zu extrem rechten Aussagen deutlich. Insbesondere die „Ausländerfeindlichkeit“, also die Abwertung von Menschen, die nicht zur Eigengruppe „der Deutschen“ gezählt werden, wird durch positive Erfahrungen am Arbeitsplatz reduziert. Das sind zentrale Befunde der Studie „Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland“, die die Otto Brenner Stiftung heute veröffentlicht hat.

In einer repräsentativen Umfrage unter rund 3000 Beschäftigten aus den neuen Bundesländern hat ein Forscherteam um Johannes Kiess (Else-Frenkel-Brunswik-Institut, Universität Leipzig) den Zusammenhang zwischen Beteiligungserfahrungen am Arbeitsplatz und politischen Einstellungen untersucht. Trotz der schwierigen Transformationserfahrungen berichten viele Beschäftigte von positiven Erlebnissen: „Rund zwei Drittel der Beschäftigten geben eine solidarische Atmosphäre mit den Kollegen im Betrieb an, 58 Prozent fühlen sich bei Entscheidungen nicht übergangen“, konstatiert Studienleiter Johannes Kiess. Problematisch sei jedoch, dass knapp ein Fünftel der Befragten keine Möglichkeit sehe, durch eigenes Engagement die Strukturen im Betrieb zum Positiven zu verändern. „Diese wahrgenommene Ohnmacht kann Frustrationen erzeugen, die auch den Blick auf die gesamte Gesellschaft negativ beeinflusst“, so Kiess weiter.

Die Ergebnisse zeigen, dass eine gefühlte Fremdbestimmung am Arbeitsplatz den Betroffenen politisches Engagement allgemein sinnloser erscheinen lässt. Wer positive Beteiligungserfahrungen im Betrieb macht, stimmt hingegen seltener rechtsextremen und autoritären Aussagen zu, wie etwa der Verklärung des historischen Nationalsozialismus, antisemitischen Schmähungen oder dem Ruf nach einer Diktatur. Auch die politische Demokratie erscheint dann in einem positiveren Licht. „Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Erfahrungen demokratischer Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz ein Baustein sind, um demokratische Einstellungen zu fördern und autoritäre und rechtsextreme Ansichten zurückzudrängen“, so Mitautor Andre Schmidt. Allerdings sei auch klar, dass eine durch Sozialisation und Gesellschaft geformte autoritäre Persönlichkeit nicht durch Erfahrungen im Betrieb alleine verändert werden kann: „Mitbestimmung und Beteiligung im Wirtschaftsleben sind kein Allheilmittel gegen autoritäre Versuchungen, aber ein direkter Einsatz für die Demokratie“, konstatiert Schmidt.

Darüber hinaus weist die Untersuchung erstmals nach, dass Betriebsräte und Gewerkschaften die Beteiligungserfahrungen von Arbeitnehmern statistisch nachweisbar erhöhen – und damit indirekt demokratische Haltungen stärken. „Angesichts dieses Zusammenhangs ist es ein Warnsignal, dass rund jeder vierte ostdeutsche Beschäftigte Nachteile befürchtet, wenn er oder sie im Betrieb über Gewerkschaften oder Betriebsräte spricht“, so Mitautorin Sophie Bose. In Thüringen und Sachsen sind positive Erfahrungen von Partizipation am Arbeitsplatz schwächer ausgeprägt als im übrigen Ostdeutschland, wird in der Untersuchung festgestellt.

Angesichts der Studienergebnisse ist sich Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, sicher: „Eine Politik, die den Kampf gegen die extreme Rechte und für die Demokratie ernst nimmt, ist aufgefordert, den Ausbau der institutionellen Mitbestimmungsmöglichkeiten konkret zu fördern.“ Für Gewerkschaften und Betriebsräte hingegen zeigen die Daten aus Sicht von Legrand, dass es darauf ankommt, schon jetzt aus Möglichkeiten der Mitbestimmung noch stärker als bisher reale Beteiligungserfahrungen zu machen.

Johannes Kiess, Alina Wesser-Saalfrank, Sophie Bose, Andre Schmidt, Elmar Brähler und Oliver Decker: Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland. Erlebte Handlungsfähigkeit im Betrieb und (anti)demokratische Einstellungen, OBS-Arbeitspapier 64, Frankfurt am Main, im Dezember 2023

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