+++ Laut OBS-Studie wirbt knapp ein Drittel aller Werbespots im TV für klimaschädliche Produkte +++ Werbepraxis verstößt gegen den Medienstaatsvertrag +++ Förderung umweltschädigender Verhaltensweisen durch Werbung ist dort untersagt +++ Werbung muss helfen, klimaschonendere Produktions- und Konsumweisen zu fördern +++ strengere Regulierung klimaschädlicher Werbung ist Aufgabe der Medienpolitik +++ Diskussion von Werbeverboten darf kein Tabu sein +++
Zur Werbepraxis im deutschen Fernsehen und auf YouTube gehört die Anpreisung klimaschädlicher Güter. Damit wird gegen den Medienstaatsvertrag verstoßen, der explizit Werbung für „in hohem Maße“ umweltschädigendes Verhalten untersagt. Der fortschreitende Klimawandel und die drohende Klimakatastrophe erfordern eine Politik, die diese Regelverstöße erkennt, sanktioniert und unterbindet. Der Medienpolitik steht eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen zur Verfügung – bis hin zu Werbeverboten für bestimmte Produkte oder ganze Produktgruppen. Das ist das zentrale Ergebnis der Studie „Reklame für Klimakiller“, die die Otto Brenner Stiftung am 06. Mai veröffentlicht hat.
Ein Team von Forscher*innen um den Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger von der Universität Leipzig hat Werbespots der größten deutschen Fernsehsender und auf YouTube analysiert und den CO₂-Fußabdruck der beworbenen Güter berechnet. „Unsere Studie basiert auf 9.779 Werbespots, jeder einzelne davon wurde manuell codiert. Das sind knapp 52 Stunden ausgewertetes Videomaterial. Mit dieser enormen Datenbasis können wir die realistische Aussage treffen, dass der deutsche Werbemarkt im Fernsehen und auf YouTube dem Klima schadet“, sagt Autorin Katharina Forstmair. 30,3 Prozent, rund 3.000 Spots, so das Ergebnis der innovativen Kärrnerarbeit, appellierten an die Zuschauer*innen, klimaschädliche Waren und Dienstleistungen zu erwerben bzw. zu konsumieren. TV-Werbebeiträge machten im Schnitt deutlich häufiger für Klimasünder Werbung als ihre Pendants auf YouTube. In den ausgewerteten Werbeclips der aufrufstärksten Videos der größten deutschen YouTube-Kanäle wurde in rund jedem siebten Beitrag ein „Klimakiller“ angepriesen.
Einige Produktgruppen stellten sich als besonders klimarelevant heraus. So wurden 86 Prozent der Spots für Süßwaren klimaschädlichen Produkten zugeordnet, vor allem hat Schokolade einen recht großen CO₂-Fußabdruck. Aber auch Produkte rund um Autos (78%) und Drogerieartikel (72%) sind in großer Mehrzahl als klimaschädlich einzustufen. Mit dem Kauf eines einzigen der angepriesenen Artikel, so ein weiterer dramatischer Befund der Studie, ist das unter dem zurzeit angestrebten Klimaziel (Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad) jedem Erdenbürger jährlich zustehende CO₂-Budget bereits aufgebraucht. „Wir sind an Werbung für Autos, Flugreisen, Rindfleisch-Burger, Kaffee und viele andere emissionsstarke Produkte gewöhnt“, so Studienleiter Uwe Krüger, „aber wenn man sich vor Augen führt, dass Werbung eine Form des Appells ist, wird die Absurdität deutlich: Wir appellieren an die Bevölkerung, weiter Klima-Killer zu kaufen und zu konsumieren, während die Klimakrise uns bereits Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen, Hitzetote und massives Artensterben beschert.“
Die Studie analysiert die unterschiedlichen Strategien, mit denen die Klimaschädlichkeit der Produkte unsichtbar gemacht oder sogar ins Gegenteil verkehrt werden. „21 Prozent aller Werbespots für klimaschädliche Produkte warben zum Beispiel mit Bildern von Naturlandschaften und Wildtieren. Damit wird die Botschaft vermittelt, man tue etwas Gutes für die Umwelt, wenn man diese Produkte kauft“, konstatiert Autorin Alexandra Hilpert. Das sei „irreführendes Greenwashing“. Insgesamt sieht das Forscher*innenteam die Medienpolitik in der Bringschuld, verstößt doch die gegenwärtige Werbepraxis gegen Paragraf 8 des Medienstaatsvertrages. Dieser untersagt Werbung für Verhaltensweisen, die „in hohem Maße den Schutz der Umwelt gefährden“. „Der Medienpolitik steht eine Vielzahl unterschiedlicher Instrumente zur Verfügung, die es endlich ernsthaft zu diskutieren und konkret umzusetzen gilt“, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. Verpflichtende Warnhinweise für klimaschädliche Produkte oder die Einführung eines dynamischen Preis- bzw. Umlagesystems für Werbung gehören niederschwellig dazu. Aber je nach dem CO₂-Fußabdruck der beworbenen Güter sollte auch das „scharfe Schwert der Werbeverbote für bestimmte Produkte und Produktgruppen“ erwogen werden, fordert Legrand. Klar sei jedenfalls: „Der Status Quo ist nicht länger zu rechtfertigen“.
Uwe Krüger / Katharina Forstmair / Alexandra Hilpert / Laurie Stührenberg: Reklame für Klimakiller. Wie Fernseh- und YouTube-Werbung den Medienstaatsvertrag verletzt, OBS-Arbeitspapier 66, Frankfurt am Main, Mai 2024
OBS-Arbeitspapier 66 als pdf-Datei |
Kontakt zu den Autor*innen:
Dr. Uwe Krüger
Universität Leipzig
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Email: uwe.krueger(at)uni-leipzig.de
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