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Pressemitteilung

Medienjournalismus

Besser als sein Ruf, „blinde Flecken“ schmälern seine Leistungen

 

+++ OBS-Studie analysiert aktuellen Medienjournalismus in Deutschland +++ Ergebnisse zeigen ausgewogene Berichterstattung zwischen Information und Unterhaltung +++ Forscher*innen belegen „bemerkenswerte“ positive Befunde, aber diagnostizieren auch Schwachstellen +++ Digitalisierung und Europäisierung hat er nicht im Blick, beim Hörfunk ist er taub +++ Stiftung und Kommunikationswissenschaftler*innen fordern mehr „Beobachtung der Beobachter*innen“ +++

 

Der Medienjournalismus deutscher Tageszeitungen zeichnet sich durch eine überwiegend sachliche Berichterstattung aus. Festzustellen ist ein ausgeglichener Mix von harten medienpolitischen und – wirtschaftlichen Themen einerseits und weichen Unterhaltungsthemen andererseits. Zu diesem Ergebnis kommt eine am 15. Juli veröffentlichte Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) über „Medienjournalismus in Deutschland“, die jedoch auch Schwachstellen identifiziert. Getrübt wird das positive Gesamtbild u.a. dadurch, dass die dringend gebotene Reflexion über die gesellschaftlichen Folgen der Medienumwälzungen durch die Digitalisierung und die Europäisierung der medienpolitischen Landschaft zu kurz kommen.

In einem großangelegten Forschungsprojekt haben Wissenschaftler*innen der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg die Medienseiten der überregionalen Printausgaben von SZ, FAZ und taz sowie der Regionalzeitungen WAZ, Tagesspiegel und Kölner Stadt-Anzeiger analysiert. Insgesamt wurden über 2000 Medienartikel untersucht und ergänzend Interviews mit verantwortlichen Medienredakteur*innen geführt, um Objektivität, Ausgewogenheit und Themenvielfalt in der aktuellen Medienberichterstattung zu erfassen.

„Unsere Untersuchung stellt dem klassischen Medienjournalismus der Tageszeitungen ein überraschend positives Zeugnis aus“, zeigt sich Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, erstaunt: „Entgegen des immer wieder geäußerten Vorwurfs, die harten Themen der eigenen Branche nicht anzugehen und stattdessen stark auf Entertainment zu setzen, finden wir eine meist sachliche und ausgewogene Berichterstattung.“ So sei rund die Hälfte der untersuchten Artikel informationsorientiert, während nur 28 Prozent deutlich auf Unterhaltung setze. Auch hinsichtlich anderer strittiger Punkte zeigt sich ein bemerkenswertes Bild: Eine verzerrte Darstellung politischer Parteien im Medienjournalismus konnte nicht bestätigt werden. Über die „Systemkonkurrenz“ der öffentlich-rechtlichen Medien berichten die privatwirtschaftlich organisierten Zeitungen der Studie zufolge relativ fair und ausgewogen.

Schwachstellen konstatieren die Forscher*innen an anderer Stelle: „Angesichts der täglichen Zahl von über 50 Millionen Hörer*innen ist es erstaunlich, wie wenig im Medienjournalismus über das Radio berichtet wird“, sagt Hektor Haarkötter, Leiter der Studie und Kommunikationswissenschaftler an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Das Fernsehen bleibe nach wie vor das große Thema des Medienjournalismus in Deutschland: 40 Prozent der Artikel behandeln die Mediengattung TV, jeder Fünfte dreht sich um digitale Medien - aber nur drei Prozent haben das Radio im Fokus. Ähnlich außen vor ist die europäische Ebene in der medienjournalistischen Berichterstattung – nur jeder zehnte Artikel richtet den Blick nach Brüssel. „Da Europa bei Fragen der Medienregulierung und der Medienwirtschaft mittlerweile zur zentralen Arena geworden ist, schreibt der Medienjournalismus mit seiner alten Orientierung auf den nationalen Rahmen ein Stück weit an der neuen Realität vorbei“, meint Jupp Legrand und bekräftigt: „Eine zukunftsfeste Modernisierung muss auch mit einem verstärkten Blick auf die gesamtgesellschaftliche Rolle der Medien, auf die Digitalisierung und auf die zunehmende Medialisierung auch der privaten Kommunikation einhergehen.“

Insgesamt empfehlen die Wissenschaftler*innen von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg dem Medienjournalismus eine Stärkung der Rolle als „Beobachter der Beobachter*innen“, also des Journalismus und der PR-Branche. Es gebe trotz schwindender finanzieller Ressourcen immer noch einen engagierten Medienjournalismus in Deutschland, resümiert Kommunikationswissenschaftler Haarkötter. „Es ist ihm zu wünschen, dass er seine Unabhängigkeit erhalten kann und seine gelegentlichen ‚Beißhemmungen‘ gegen die eigene Zunft ablegt“, erklärt der Forscher und betont, „dass der Medienjournalismus der Gesellschaft auch weiterhin einen kritischen Blick auf die Medienwelt ermöglichen muss“.

Hektor Haarkötter/ Filiz Kalmuk: Medienjournalismus in Deutschland. Seine Leistungen und blinden Flecken, OBS-Arbeitsheft 105, Frankfurt am Main 2021

 

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Für das Autor*innenteam

Hektor Haarkötter
Professur Kommunikationswissenschaft,
Schwerpunkt politische Kommunikation
Fachbereich Sozialpolitik und Soziale Sicherung
Hochschule Bonn-Rhein-Sieg
E-Mail: hektor.haarkoetter(at)h-brs.de
Twitter: @Medienhektor

Kontakt:

Otto Brenner Stiftung
Geschäftsführer
Jupp Legrand
Telefon: 069 - 6693 2810
E-Mail: info(at)otto-brenner-stiftung.de
Twitter: @OBSFrankfurt
www.otto-brenner-stiftung.de

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