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Pressemitteilung

Otto Brenner Stiftung ruft Medien dazu auf, Gastbeiträge von Politiker*innen zu überdenken

+++ Gastbeiträge von Politiker*innen erschweren Kontrollfunktion der Medien +++ Kontroverse Debattenkultur wird durch dieses Format weder entwickelt noch gepflegt +++ Journalistisch gebotene Kontextualisierungen zu Autor*innen und Themen meist nicht gegeben +++ Gängige Praxis durch mangelnde inhaltliche und personelle Pluralität gekennzeichnet, einseitige Sichtweisen vorherrschend +++ Transparente Richtlinien für Gastbeiträge sinnvoll, nachhaltige Reflektion der bisherigen Praxis notwendig +++

Frankfurt am Main, den 25. März 2021. Die Veröffentlichung von Gastbeiträgen von Politiker*innen durch renommierte Medien bedarf einer grundsätzlichen Neubewertung und einer veränderten Praxis – so lautet das Fazit des investigativen Journalisten Marvin Oppong in seinem heute von der Otto Brenner Stiftung (OBS) veröffentlichten Diskussionspapier. Oppong, der für seinen Debattenbeitrag die Veröffentlichungen politischer Namensbeiträge in 2020 von FAZ, SZ und Tagesspiegel einer kursorischen Prüfung unterworfen hat, sieht gleich mehrere Probleme mit der gegenwärtigen Praxis in den Qualitätsmedien. So seien Gastbeiträge von politischen Akteur*innen aus journalistischer Sicht grundsätzlich heikel, weil denjenigen, die eigentlich von den Medien kritisch kontrolliert werden sollten, ungefiltert und ohne Möglichkeit des kritischen Nachhakens Platz zur Darlegung ihrer (partei-)politischen Agenden eingeräumt wird, heißt es im Vorwort des OBS-Debattenbeitrages. Das Diskussionspapier verdeutlicht anhand konkreter Beispiele, dass Gastbeiträge immer wieder die aus journalistischer Sicht gebotenen Kontextualisierungen und Hintergrundinformationen sowohl zu den Gastautor*innen als auch ihren Themen vermissen lassen. „Journalismus muss informieren, zur Meinungsbildung beitragen und Kontrolle üben. Mit Gastbeiträgen, die in der Produktion kostengünstig sind, füllen Zeitungen jedoch billig ihre Seiten und fördern dabei zusätzlich den negativen Trend zur Personalisierung im Journalismus“, so Autor Marvin Oppong.

Über diese prinzipiellen Einwände hinaus sieht der freie Journalist Oppong, der auch als Dozent für Recherchetechniken in der journalistischen Aus- und Weiterbildung tätig ist, das häufigste Argument für Gastbeiträge von Politiker*innen – die Förderung der Debattenkultur – als verfehlt an. Eine Debattenkultur im weiteren Sinne werde über Gastbeiträge in Zeitungen weder entwickelt noch gepflegt, schreibt der Autor in seiner Kurzanalyse. Der Grund dafür liege zum einen in der mangelnden Diversität der Autor*innen: So stammte im ersten Halbjahr 2020, dem im Debattenbeitrag analysierten Zeitraum, der überwiegende Teil der Gastbeiträge von Politiker*innen in FAZ, SZ und Tagesspiegel von den Regierungsparteien oder der FDP. Neben dieser parteipolitischen Engführung komme hinzu, dass die Namensbeiträge meist von Männern geschrieben seien und nur wenige Autor*innen einen Migrationshintergrund hätten. Dies verstärkt aus Sicht des Journalisten Oppong die mangelnde inhaltliche Pluralität der Beiträge: Bei kontroversen Themen wie Gentechnik, Atomwaffen oder europäischen Militäreinsätzen fehlten kritische Sichtweisen fast vollständig. „Mich hat überrascht, dass sich in gleich zwei Gastbeiträgen für Atomwaffen ausgesprochen wurde – eine ansonsten eher unpopuläre Forderung – bevor dann kürzlich Deutschland auf internationaler Ebene den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen ablehnte“, so der Autor des Diskussionspapiers. Kein auf Dauer haltbarer Zustand für Jupp Legrand, OBS-Geschäftsführer, der zur Veröffentlichung des Diskussionspapiers erklärt: „Wir hoffen, dass Marvin Oppong mit seinem kritischen Vorstoß einen nachhaltigen Reflektionsprozess in Redaktionen anstößt und dort zukünftig öfters gefragt wird, welche journalistischen Argumente eigentlich für die Veröffentlichung eines konkreten Gastbeitrages eines Politikers oder einer Politikerin sprechen“. Und, so Legrand weiter, „wenn diese Frage nicht hinreichend und überzeugend beantwortet werden kann, sollte auf eine Veröffentlichung zugunsten redaktioneller Analysen verzichtet werden.“

Wenn die Gegenargumente nicht widerlegt werden können und die zentralen Bedenken durch die Veröffentlichungspraxis ignoriert werden, könne der Eindruck entstehen, dass es bei Gastbeiträgen von Politiker*innen in erster Linie nicht um einen qualifizierten Beitrag zur Meinungsbildung geht, sondern um politisches „Namedropping“ oder „Klickzahlen“. Wollen Redaktionen nicht auf Namensbeiträge der politischen Prominenz verzichten, so empfehlen Stiftung und Autor zumindest „transparente Richtlinien“, die mehr Licht ins Dunkel der gängigen Vorgehensweise bei Gastbeiträgen bringen könnten. Auch mehr Informationen für Leser*innen über die redaktionelle Reflektion der Frage, warum wem über das Instrument des Gastbeitrages für „fremde Federn“ Platz geschaffen wird, könnte sich als vertrauensbildende Maßnahme zwischen Medium und Nutzer*innen erweisen.

Marvin Oppong, Wenn Politik Presse macht – Gastbeiträge von Politiker*innen in ausgewählten Tageszeitungen. OBS-Arbeitspapier 46, Frankfurt am Main, März 2021 

Pressemitteilung als PDF-Datei

Arbeitspapier 46 als PDF-Datei

Kontakt:

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Geschäftsführer
Jupp Legrand
Telefon: 069 - 6693 2810
E-Mail: info(at)otto-brenner-stiftung.de

Autor

Marvin Oppong
E-Mail: info(at)oppong.eu
Twitter: @MarvinOppong
www.oppong.eu