Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
es hat sich mittlerweile etabliert, dass „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) am Internationalen Tag der Pressefreiheit (3. Mai) sein internationales Ranking zur Situation der Journalist:innen und der Gefährdung der Pressefreiheit veröffentlicht. Leider kommt es dabei seit Jahren zu einer bedenklichen Entwicklung: Deutschland rutscht in diesem internationalen Vergleich weiter ab und findet sich inzwischen nur noch auf Platz 21. Dass Deutschland im Vergleich zum vorhergehenden Ranking weitere fünf Plätze eingebüßt hat, hat sicherlich noch nichts damit zu tun, dass sich der Axel Springer-Verlag und Mathias Döpfner mit dem Ex-Chefredakteur von BILD Julian Reichelt öffentlich eine Schlammschlacht liefert. Auch dass von oberster (Unternehmens-) Stelle im Springer-Verlag erheblicher Druck auf „politisierte“ Meinungsmache im Boulevard-Magazin ausgeübt worden ist, findet in der aktuellen Momentaufnahme vom Mai 2023 noch keine Berücksichtigung. Das sind keine guten Aussichten auf eine bessere Position im nächsten Ranking.
In den letzten Jahren hat Deutschland seinen Rang vor allem deshalb verschlechtert, weil immer mehr Journalist:innen bei ihrer Arbeit mit zahlreichen Bedrohungen und Schikanen, einschließlich tätlicher Angriffe, konfrontiert sind - wie die offizielle Statistik zur politisch motivierten Kriminalität verdeutlicht. Öffentliche Berichterstattungen über Demonstrationen, Veranstaltungen oder Kundgebungen werden von Teilnehmenden behindert oder gestört. Journalist:innen werden von ihnen verunglimpft. Politische Polarisierungen in der Gesellschaft und verbale Verrohungen im Diskurs nehmen zu. Gewalt gegen Mitmenschen, Minderheiten und Medienmacher:innen wird als legitimes Mittel mehr und mehr enttabuisiert.
Dass Hemmschwellen fallen, Hetze und Hass nicht nur in den sozialen Medien zunehmen, verbale Entgleisungen und gewalttätige Angriffe inzwischen zum Alltag gehören, erleben und erleiden auch immer mehr Jüdinnen und Juden – auch das zeigt die aktuelle Kriminalstatistik (PMK). In unserer druckfrischen OBS-Studie über „Alte Gefahr mit neuen Gesichtern“ gehen wir diesen Entwicklungen und bedrohlichen Veränderungen im Antisemitismus nach. Die Daten und Fakten der Analyse von Michael Kraske, ein vielfach prämierter Journalist und Publizist, zeigen, dass die Aufmerksamkeit für die Judenfeindschaft allzu oft auf eine rituelle Gedenkkultur historischer Ereignisse verengt wird. Politik und Zivilgesellschaft sind gefordert, dem Thema Antisemitismus in allen seinen Formen, auch neuen Entwicklungen, einen festen Platz einzuräumen: das gilt u.a. für die Bildungspläne von Schulen und Weiterbildungsstätten, aber auch für staatliche Ermittlungsbehörden und zivilgesellschaftliche Organisationen.
Für die OBS hat kritischer Journalismus auch in diesem Zusammenhang eine wachsende und fundamentale Bedeutung: Als stabile Säule der „Vierten Gewalt“ und als unbestechlicher Garant für das Funktionieren unserer liberal-demokratischen Demokratie. Wir versuchen, mit unseren medienkritischen Studien und medienpolitischen Untersuchungen den Qualitätsjournalismus kritisch-engagiert zu begleiten und stärken.
Eine Möglichkeit, diesem Anspruch kontinuierlich Rechnung zu tragen, ist unsere jährliche Auslobung des Otto Brenner Preises für kritischen Journalismus. In diesem Jahr schreiben wir ihn zum 19. Mal aus – Bewerbungen nehmen wir noch bis zum 30. Juni an. Auch 2023 freuen wir uns über Empfehlungen des Publikums und danken unseren Leser:innen, dass sie die Werbetrommel für den begehrten Preis rühren.
Wir freuen uns wie immer über jede Unterstützung
(und schreiben auch gerne Spendenquittungen)
Das OBS-Team
Frankfurt/Main, im Mai 2023