Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
in den ersten Monaten des Jahres 2022 ist passiert, was zum Jahreswechsel niemand von uns für möglich gehalten hat: Während im Frühjahr noch die Covid-19-Pandemie die Schlagzeilen beherrschte, startet Russlands autokratischer Herrscher Wladimir Putin im Februar einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, ein souveränes europäisches Land und Nachbar der EU. Aus der „stabilen Krise“ der Nachkriegszeit ist ein „heißer Krieg“ in Europa geworden. Und dieser brutale Krieg trifft bei uns auf eine Öffentlichkeit und Bevölkerung, die nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie ermüdet, ausgelaugt und ausgezehrt wirkt. Krisen und Kriege sind die Stunde der Exekutive. Der Krieg hält an und eine neue Aufrüstungsspirale zeichnet sich ab, die die kommenden Jahre prägen könnte und noch kaum bis wenig auf Widerstand zu treffen scheint.
Es war ein merkwürdiger Zufall, dass genau an diesem 24. Februar, als Putin seine Truppen in der Ukraine einmarschieren ließ und die territoriale Integrität und politische Souveränität des Landes mit Füßen trat, unser Diskussionspapier von Marc Engelhardt über die Auslandsberichterstattung und das Verblassen der Welt erschienen ist. Auch die Ostukraine kann seit Ausbruch des Konflikts und der Annexion der Krim 2014 als einer der weißen Flecken in der Auslandsberichterstattung ausgemacht werden. Vor allem die Zunahme von Propaganda führt unser Autor als einer der Faktoren an, der zu einem immer verzerrteren Bild der Welt in den deutschen Medien führt. Ursachen sieht er vor allem in der über die letzten Jahre stetig abnehmenden Zahl der Korrespondent*innen sowie der Auslandsseiten und Sendeplätze.
Auch wenn der Krieg in der Ukraine inzwischen die Corona-Pandemie aus den Nachrichten und von den Titelseiten verdrängt hat, haben wir einen genaueren Blick auf die Situation der freien Journalist*innen in der Corona-Pandemie geworfen. Erster Befund: Durch die Pandemie wurden bereits vor der Covid-19-Krise bestehende Probleme, wie etwa die schlechte Bezahlung, noch verstärkt. Die Autor*innen der Universität Bremen zeigen darüber hinaus in unserer neuesten Studie „Erosion von Öffentlichkeit. Freie Journalist*innen in der Corona-Pandemie“, dass vor allem der Lokal- und Printjournalismus durch diese Entwicklung in seinen Grundlagen bedroht ist und damit die Stabilität und Vielfalt unserer Demokratie in Gefahr ist. Die Studie haben wir in einer Online-Veranstaltung mit dem Autor*innenteam vorgestellt und mit Expert*innen diskutiert. Die Aufzeichnung ist auf der Infoseite zur Studie abrufbar.
Was wäre der Alltag, wenn er ohne gute Nachrichten auskommen müsste? So schreiben wir auch 2022 wieder unseren renommierten Journalistenpreis für kritischen Journalismus – in diesem Jahr zum 18. Mal – aus. Vom 1. April bis zum 30. Juni nehmen wir Bewerbungen online entgegen, siehe unten.
Für die OBS wird das Jahr aber auch deshalb besonders, weil sich die Gründung der Stiftung zum 50. Mal jährt. Otto Brenner starb am 15. April 1972, wenige Monate später wurde die Stiftung seines Namens gegründet und zur Feier seines 65. Geburtstages (8. November 1972) erschienen die ersten Bände der OBS-Schriftenreihe. Das Team der OBS bereitet zum Jubiläum mehrere Veranstaltungen, und als Höhepunkt eine würdevolle Feier im November am Stammsitz in Frankfurt/M., vor. Schon ab dem 15. April gehen wir mit www.obs50.de online und berichten dort regelmäßig über unsere Vorhaben. Starten wollen wir mit einer Online-Veranstaltung am 25. April. Anlass ist der 50. Jahrestag der „Lebensqualität“ -Tagung der IG Metall in Oberhausen 1972, an der Otto Brenner krankheitsbedingt nicht mehr teilnehmen konnte.
Wir nehmen mit Elan und Zuversicht die anstehenden Aufgaben in Angriff - und danken dafür, dass unsere Leser*innen unsere Arbeit schätzen, mit Interesse die Ergebnisse verfolgen und uns gelegentlich auch durch Spenden materiell unterstützen.
Mit freundlichen Grüßen
Das OBS-Team
Frankfurt/Main, April 2022