Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
es war ein fundierter Beitrag in der tageszeitung (taz), der erstmals darauf hinwies, dass unsere Studie über den „Medienmäzen Google“ fast ausschließlich von Medien aufgegriffen und gewürdigt wurde, die keine finanzielle Förderung durch den Datenkonzern erhalten hatten. Nur der Tagesspiegel und die taz selbst bilden bisher die Ausnahmen, recherchierten der Mediendienst Altpapier sowie Christian Meier für Die Welt und die Welt am Sonntag (WamS). Alexander Fanta und Ingo Dachwitz, die beiden profilierten Datenjournalisten und Autoren der OBS/DGB-Studie, konnten in ihrer innovativen Pionierarbeit über Googles Journalismusförderung zwar keine direkte Einflussnahme des Konzerns auf redaktionelle Inhalte feststellen. Aber es ist zumindest auffällig, dass die Medien- oder Wirtschaftsseiten auflagenstarker Zeitungen und wichtiger Magazine, die finanziell und strukturell von Google gefördert wurden, unsere Studie bisher links liegen gelassen haben.
Die (Mit-)Finanzierung von Medien durch global tätige Datenkonzerne wirft andererseits weitere Fragen auf: Wie steht es generell um die Sicherung der Medienvielfalt, wenn „Big Tech“ ansetzt, zum „Betriebssystem des Journalismus“ (OBS-Studie über Google) zu werden? Wie kann die finanzielle Unterstützung der Medien durch Technologiekonzerne aus dem Silicon Valley transparenter gestaltet werden? Und: Bedarf es vielleicht sogar Initiativen für mehr öffentliche und nachhaltige Medienförderung jenseits privatwirtschaftlicher Interessen?
Mit “Medienmäzen Google“, so viel scheint jedenfalls festzustehen, haben wir einen Stein ins Wasser geworfen, der Aufmerksamkeit geweckt und einige Wellen geschlagen hat, die hoffentlich noch weitere Kreise ziehen werden. Da Google nicht nur in Deutschland den Journalismus umgarnt und die Ergebnisse der OBS/DGB-Studie es verdient haben, weit darüber hinaus wahrgenommen zu werden, haben wir „Medienmäzen Google“ übersetzt und inzwischen auch die englischsprachige Fassung online veröffentlicht.
Im Herbst hat ein zweites OBS-Kooperationsprojekt für Schlagzeilen gesorgt. Auf Einladung der Bundespressekonferenz (BPK) konnten wir Mitte November, zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) und der Uni Leipzig, die neue Autoritarismus-Studie (LAS 2020) vorstellen. Während draußen um den Reichstag herum Corona-LeugnerInnen, Impf-GegnerInnen und VerschwörungserzählerInnen für gespenstige Unruhe, laute Proteste und massive Polizeieinsätze sorgten, berichteten drinnen im großen Saal der BPK die Herausgeber über wichtige Ergebnisse und zentrale Befunde der Untersuchung, die als Buch „Autoritäre Dynamiken“ erschienen ist. Die „Leipziger Autoritarismus-Studie 2020“ zeigt, dass rechtsextremistische und autoritäre Einstellungen eine beständige Bedrohung für die offene, demokratische Gesellschaft bleiben. Bei rechtsextrem eingestellten Personen verfestigen sich neonazistische Ideologien und ethnozentrische Einstellungen. Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit stabilisieren sich in der gesamten Bevölkerung auf einem hohen Niveau. Zudem droht, wer sich benachteiligt fühlt und seine Probleme mit der Ausbildung einer Verschwörungsmentalität bearbeitet, in rechtsextreme Positionen abzurutschen. Unterm Strich: Die Polarisierung in der Gesellschaft hält an, die Radikalisierung der Diskurse und einiger Milieus ist nicht gestoppt. „Hygiene“-Demos, „Querdenker“-Aktionen und online-Corona-Auseinandersetzungen bestätigen demnach auf Straßen, Plätzen und sozialen Medien die aktuellen Trends und langfristigen Erkenntnisse, die die ForscherInnen um Oliver Decker und Elmar Brähler in ihren empirischen Tiefenbohrungen über mehrjährige Untersuchungsperioden herausgefunden haben.
Die Corona-Pandemie bestimmt seit März nicht nur die Schlagzeilen der Presse, sie prägt weiterhin auch unseren privaten wie beruflichen Alltag. Ein in vielerlei Hinsicht schwieriges Jahr endet in wenigen Tagen – und schon heute wissen wir: Auch Weihnachten und der Jahreswechsel zu Silvester stellen uns vor weitere und zusätzliche Herausforderungen, die uns in den kommenden Wochen neue Erfahrungen bescheren werden.
Wir wünschen allen an der Arbeit der OBS Interessierten und unseren ideellen wie materiellen UnterstützerInnen eine gute Zeit und hoffen, dass wir in 2021 große Schritte zu einer neuen, besseren Normalität zurücklegen können. Jedenfalls sind wir zum Ende eines merkwürdigen Jahres (noch) guter Dinge, für November 2021 wieder Einladungen zur Verleihung der Otto Brenner Preise aussprechen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Das OBS-Team
Frankfurt/Main, Dezember 2020