Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die regionalen Irrungen im Vorfeld der Erfurter Ministerpräsidentenwahl, die bundesweiten Wirrungen im Nachklang zu dem „Dammbruch“ in Thüringen von Anfang Februar, die bis hin zu einer drohenden „Selbstzerstörung der CDU“ reichen können, unterstreichen einmal mehr, dass auch im 30. Jahr seit der Vereinigung von DDR und BRD die Bundesrepublik in vielen Fragen nach wie vor in Ost und West geteilt ist. Dass die Menschen in den neuen Bundesländern anders „ticken“, die Parteien dort mit den eingespielten Routinen im Westen wenig anfangen können, die Strukturen der Zivilgesellschaft weniger gefestigt und die Öffentlichkeit noch fragmentierter als im Westen erscheint, sind nur oberflächliche Beschreibungen langfristiger Entwicklungen, aber noch keine Antworten auf die Frage, warum die Gräben zwischen Ost und West sogar wieder tiefer und breiter zu werden drohen. Vielleicht mag ein Grund darin bestehen, dass innerhalb einer Generation gleich zwei tiefgreifende Veränderungsprozesse zu verkraften waren bzw. zu gestalten sind.
Nach dem Mauerfall gingen im Prozess der Privatisierung viele Betriebe im Osten in die Insolvenz, die De-Industrialisierung führte zu Massenarbeitslosigkeit und es dauerte Jahrzehnte, bis wenigstens einige ökonomische und soziale Entwicklungen ungefähr mit dem Westniveau Schritt halten konnten. Heute, über 30 Jahre nach dem Mauerfall und im Feierjahr der deutschen Einheit 1990, stehen besonders im Osten wieder tiefe Brüche an und werden von vielen Menschen wieder gewaltige Anpassungsleistungen erwartet. Energiewende mit dem Kohleausstieg, Einstieg in das Zeitalter der De-Karbonisierung, Umstieg auf Elektromobilität, demografischer Wandel und Folgen der Binnenwanderung genügen als wenige Stichwörter, die die Wucht der anstehenden Veränderungen andeuten.
Die Otto Brenner Stiftung hat in den vergangenen Jahren immer wieder mit Studien und Veranstaltungen diese sozialen, politischen und ökonomischen Prozesse nach dem Mauerfall mit Untersuchungen begleitet. 2019 haben wir unsere Jahrestagung dem Thema „Mauer in den Köpfen“ gewidmet. Im Herbst 2020 werden wir wieder zu einem „innerdeutschen“ Streitthema ExpertInnen aus Ost und West einladen. Darüber hinaus fördert unsere „Stiftung neue Länder“ seit über einem Jahrzehnt konkrete arbeitsmarktpolitische Projekte: Reintegration von Langzeitarbeitslosen, Berufsorientierung von SchülerInnen oder Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen können dabei konkrete Zielsetzungen und praktische Anliegen sein. Daneben publizieren wir Ergebnisse von Untersuchungen, die strukturpolitische Fragen aufgreifen oder arbeitsmarktpolitischen Aspekten nachgehen. So erschien kürzlich eine Studie, die für die Lausitz die Chancen auslotet, auch im Zeitalter der erneuerbaren Energieträger „Energieregion“ zu bleiben. Und bald werden wir eine Doppel-Studie veröffentlichen, die nachfragt, ob die Automobil- und Zulieferindustrien in Thüringen und Berlin, Brandenburg und Sachsen für die Transformation des Mobilitätssektors gut genug aufgestellt sind, um auch weiterhin als starker Wirtschaftsfaktor mit zukunftsfähigen Arbeitsplätzen eine Rolle zu spielen.
Wir danken für das Interesse an unserer Arbeit und (auch finanzielle) Unterstützung und freuen uns, wenn Sie gelegentlich auch einen Blick in unsere Studien zu den Entwicklungen in Ostdeutschland werfen.
Mit freundlichen Grüßen
Das OBS-Team
(Februar 2020)