Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Reporter-Forum, nach eigener Darstellung „eine Bürgerinitiative für guten Journalismus“, lädt zum 12./13. April zu einem Workshop nach Hamburg ein. Das Motto der hochkarätig besetzten Veranstaltung, die beim Wochenmagazin „Der Spiegel“ stattfindet, kann nur auf den ersten Blick den eigentlichen Hintergrund des Treffens verdecken. Das Tagungsthema „Vertrauen verspielen, Vertrauen gewinnen“ würde in diesem Jahr vermutlich so nicht heißen, hätte nicht im Dezember 2018 der „Fall Relotius“ eine ganze Branche im Kern getroffen und über den Tag hinaus erschüttert.
Hausinterne Recherchen hatten aufgedeckt, dass Spiegel-Edelfeder und Star-Reporter Claas Relotius das „Sagen, was ist“ allzu häufig durch ein „Schreiben, was passt“ ersetzt hatte. Mit krimineller Energie wurden KollegInnen getäuscht, von ihm nicht nur Der Spiegel hinters Licht geführt, sondern eine ganze Branche durch sein Fälschen, Täuschen und Schummeln in Verruf gebracht. Dass Der Spiegel den Skandal öffentlich machte, von einer Kommission weiter untersuchen lässt, nicht nur personelle Konsequenzen zog und in den Medien ebenso engagiert wie kontrovers über Zustand und Zukunft des Journalismus gestritten wird, ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass der tiefe Fall eines mehrfach preisgekrönten und Stil prägenden Vorzeigejournalisten auch ein zweifelhaftes Licht wirft auf die zahlreichen Journalistenpreise, die Jahr für Jahr vergeben werden. Gefragt wird: Hätten nicht Preisstifter oder Jurys erkennen müssen, dass mancher Beitrag von Relotius „zu schön war, um wahr zu sein“?
Der Verwaltungsrat der OBS hat im März entschieden, auch in 2019 wieder den „Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus“ auszuschreiben und im Herbst die Preisverleihung durchzuführen. Dass die Stiftung und unsere Jury Claas Relotius nicht mit einem Otto Brenner Preis ausgezeichnet haben, ist einerseits eine gute Nachricht, gibt uns aber auf der anderen Seite keine Sicherheit, nicht doch einem anderen „Blender“ auf den Leim gegangen zu sein. Allerdings gehen Forderungen, Preisjurys sollten mit Faktenchecks systematisch die Stimmigkeit von zu prämierenden Beiträgen überprüfen, an der Realität vorbei - diese Aufgabe muss auch zukünftig vor der Veröffentlichung von den Redaktionen geleistet werden. Gleichwohl hat der Fall Relotius die Stiftung in ihrer Überzeugung bestärkt, dass die Prioritäten der Preisjury - Inhalt und Bedeutung eines Thema über „schöne Erzählungen“ zu stellen - auch für die Zukunft die Richtigen sind.
Also gehen wir 2019 wieder voller Zuversicht in die inzwischen 15. Ausschreibung unseres Preises. Und es bleibt auch bei unserem Motto: Der Preis zeichnet weiterhin “gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten“ aus. Wir freuen uns auf viele Bewerbungen bis Ende Juni und auf eine tolle Preisverleihung im November in Berlin.
Alles Weitere zum Preis, Aktuelles zu Projekten und Wichtiges zu Publikationen finden Sie in diesem Newsletter. Wir danken für das Interesse an unserer Arbeit und freuen uns über Ihre ideelle (und auch finanzielle) Unterstützung unserer Arbeit.
Mit freundlichen Grüßen
Das OBS-Team
(April 2019)