+++ Ein „innerdeutsches“ Ost-West-Gefälle prägt nach wie vor unsere gesamtdeutsche Medienlandschaft +++ Partizipationsdefizite, Repräsentationslücken und Ohnmachtsgefühle sorgen im Osten für anhaltenden Unmut +++ mangelhafte Teilhabe von Ostdeutschen in Medien und Gesellschaft mündet in einer Kolonialisierungsdebatte +++ Rolle der Massenmedien im Vereinigungsprozess blieb bisher unterbeleuchtet +++ Aber: eine neue Generation junger Ostdeutscher tritt auch in den Medien selbstbewusster auf +++
Dass es um die massenmediale Teilhabe Ostdeutscher auch mehr als 30 Jahre nach der Vereinigung nicht besonders gut bestellt ist, bestätigt jetzt eindrucksvoll und faktenreich ein aktuelles Diskussionspapier der Otto Brenner Stiftung: In den Führungsetagen der wichtigen bundesrepublikanischen Leitmedien sind so gut wie keine Ostdeutschen zu finden; fast alle Regionalzeitungen, die im Osten erscheinen, sind in Besitz westdeutscher Medienunternehmen; in den Chefetagen der großen ostdeutschen Regionalzeitungen sind Westdeutsche ähnlich überrepräsentiert wie vielerorts beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Journalistenschulen bilden kaum Nachwuchs mit ostdeutschem Hintergrund aus. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist, dass die überregionale westdeutsche Qualitätspresse im Osten so gut wie nicht gelesen wird und die großen Medienhäuser aus Hamburg, München und Frankfurt denkbar wenig in Infrastruktur und Personal im Osten investiert haben. Aber auch kein originär ostdeutsches überregionales Leitmedium, das im gesamtdeutschen Diskurs ostdeutsche Perspektiven hätte einbringen können, hat sich etabliert. Der Osten mit seinem anderen Wahlverhalten, anderen Mentalitäten, anderen kulturellen, politischen und sozialen Prägungen erscheint vielen im Westen bis heute allzu oft als eine negativ zu bewertende Abweichung von der westdeutschen Realität und Normalität, als das rückständige Anhängsel, sprichwörtlich als „Dunkeldeutschland“. Ist die Ursache für den medialen Ost-West-Graben darin zu sehen, dass westdeutsch geprägte Medien zu lange im besserwisserisch-belehrenden “Auslandsduktus” daherkamen und nie ernsthaft das Anliegen verfolgten, auch Ostdeutschland zu repräsentieren und die Ostdeutschen zu integrieren?
Diesen Fragen geht ein OBS-Diskussionspapier nach, das die Stiftung heute in Frankfurt am Main veröffentlicht hat. Autor Lutz Mükke ist als Ostdeutscher der Geschichte des Themas eng verbunden, als Journalist und Publizist ein profunder Kenner der Medienlandschaft des Ostens und als promovierter Medien- und Kommunikationswissenschaftler vertraut mit den blinden Stellen und fragwürdigen Lücken der Forschung. Mükke geht zurück bis in die Wende-Jahre und zeichnet in groben Zügen einige zentrale massenmediale Entwicklungen in Ostdeutschland nach – von der demokratischen Selbstermächtigung 1989/90 und ihrem abrupten Ende, über die Zeitungs-Deals der Treuhand, den „Wilden Osten“ des Mitteldeutschen Rundfunks bis hin zum Rumoren in der 3. Generation der Ost-Journalist*innen und den aktuellen Eskalationen um die Beitragserhöhung in Sachsen-Anhalt 30 Jahre nach der Wiedervereinigung. Auch auf die Marginalisierung der ostdeutschen Intelligenz, deren Stimmen, Erfahrungen, Ideen und Utopien, die bis heute kaum massenmedialen Widerhall finden, wird eingegangen. Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung, nimmt an, „dass die skizzierten Problemzonen mit zu jenen Vertrauensverlusten beigetragen haben, die den Lügenpresse- und Staatsfunk-Rufer*innen öffentlichen Raum für ihre verbalen Attacken gaben.“ Diskussionspapier-Autor Lutz Mükke ergänzt zuspitzend: „Die Monopolisierung und Provinzialisierung des Medienangebots hat wahrscheinlich ebenso zur Verschiebung des gesellschaftspolitischen Klimas und zu den großen Mobilisierungserfolgen populistischer Bewegungen im Osten beigetragen, wie die mangelhafte Partizipation und Repräsentation Ostdeutscher in überregionalen Leitmedien“.
Autor und Stiftung bleiben aber nicht bei einer historischen Analyse und Beschreibung aktueller Probleme stehen. Sie laden mit einigen Handlungsempfehlungen zum Perspektivenwechsel ein. Eine Quotendiskussion für Ostdeutsche wird in Erwägung gezogen, eine Stärkung des kritisch-kontrollierenden Journalismus in den neuen Bundesländern angeregt, Stipendienprogramme für ostdeutsche Journalist*innen gefordert und die Schließung von Repräsentationslücken angemahnt. Konkret schlagen sie eine Veranstaltungsreihe in Ostdeutschland vor, um z.B. über die Befunde des Arbeitspapieres, die Lage des Journalismus und die Rolle der Massenmedien in einer fragmentierten Öffentlichkeit und polarisierten Gesellschaft zu streiten.