Nebeneinkünfte, so ein zentraler Befund der aktuellen OBS-Untersuchung über „Aufstocker“ im Bundestag, sind das Problem einer privilegierten Minderheit von Abgeordneten, die überproportional aus der Unionsfraktion kommen. 261 Bundestagsabgeordnete der zu Ende gehenden 19. Wahlperiode gaben an, „entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat“ ausgeübt zu haben. OBS-Autor Sven Osterberg legt in seiner Expertise dar, dass die geschätzten ca. 53 Millionen Euro Nebeneinkünfte, die in der 19. Wahlperiode erzielt wurden, zu fast 60 Prozent von Mitgliedern der Union generiert wurden. In der FDP-Fraktion, ein Novum in der Geschichte der Untersuchungsreihe, gibt es kein Mitglied ohne veröffentlichungspflichtige Angaben. Anwälte sind, so ein weiteres Ergebnis des soeben online veröffentlichten Arbeitspapieres der OBS, nicht nur die im Parlament überrepräsentierteste Berufsgruppe. Auch unter den „Aufstockern“ bilden sie die größte Teilgruppe. Im Vergleich der Wahlperioden seit 2009 ist ihr Anteil an Mitgliedern des Bundestages zwar kontinuierlich gesunken, die Summe der von ihnen generierten „Neben“-Einnahmen ist aber deutlich gestiegen.
Die vielfach aufgestellte Behauptung, Nebeneinkünfte seien ein Übergangsproblem, das sich im Laufe einer Legislaturperiode minimiere, wird durch einen Vergleich der Daten zu Beginn und am Ende der 19. Wahlperiode nicht bestätigt. Im Gegenteil: Es zeigt sich, dass es einerseits vor allem Selbstständige und Anwälte sind, die auch als MdB neben dem Mandat diese Tätigkeiten fortsetzen. Und andererseits findet die These empirische Bestätigung, dass das Mandat auch neue Nebentätigkeiten mit Nebeneinkünften mit sich bringt. Autor und Stiftung stellen beim Vergleich mehrerer Legislaturperioden zudem fest, dass die Zahl der Nebentätigkeiten und Funktionen neben dem Parlament insgesamt (gegen Entgelt oder ehrenamtlich) relativ konstant bleibt. Die vergleichende Auswertung der Daten zeigt leichte Verschiebungen bei den Tätigkeitsfeldern: Die Zahl der Funktionen in Unternehmen hat zugenommen und geht zu Lasten der Vernetzung mit Vereinen, Verbänden und Stiftungen. Schwerpunkt der Frauen bleibt nach wie vor das ehrenamtliche Engagement; weniger als ein Viertel gibt entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat an. Inzwischen bauen die OBS-Untersuchungen, die seit 2013 veröffentlicht werden, auf der Analyse von ca. 4000 Datensätzen auf.
Die aktuellen Ergebnisse, die mittelfristige Trends bestätigen und eine relative Stabilität in der Entwicklung der drei letzten Wahlperioden belegen, werfen für OBS-Autor Sven Osterberg die Frage auf, ob über neuerliche und wiederholte Forderungen nach mehr Transparenz weitere Erkenntnisse zu erzielen sind. Er ist der Auffassung, dass es inzwischen mit Blick auf Zusatzjobs und Nebeneinkünfte kein wirkliches Erkenntnisdefizit gibt, sondern dass ein fundamentales Handlungsdefizit den eigentlichen Kern des Problems ausmacht. Autor und Stiftung unterstreichen ihre Skepsis, dass die vor kurzem beschlossenen Neuregelungen in der Praxis zu gravierenden Änderungen führen werden. "Das neue Abgeordnetengesetz“, so Sven Osterberg, „verspricht noch mehr Transparenz, aber es wirft Licht auf ein grundlegenderes Problem: Wer und wie wird die Richtigkeit der Angaben kontrolliert?" Auch die Frage nach wirksamen Sanktionen für Abgeordnete, die Einnahmen neben dem Mandat nicht korrekt auf Euro und Cent anzeigen, bleibt weiterhin ungelöst. Osterberg regt eine „permanente“ Kommission an, „die mit Mitteln und Rechten ausgestattet ist und eine Kontrolle der Einhaltung der Regeln gewährleistet." Diesem Gremium sollten neben Abgeordneten auch externe Experten und Fachleute angehören.