dmailer ping
Wird diese Nachricht nicht richtig dargestellt, klicken Sie bitte hier
Otto Brenner Stiftung Logo

Pressemitteilung

11. Juli 2024

Drängende Lehren aus der Ahrtalflut 2021

Was Medien in Krisen leisten können

+++ Medien werden zukünftig häufiger über Krisen und Naturkatastrophen berichten müssen +++ Die mediale Darstellung der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 wurde von Akteuren vor Ort kritisiert +++ Studie zeigt: Gute Beziehung zwischen Journalist*innen und Betroffenen von Katastrophen sind für gelingende Kommunikation & Berichterstattung zentral +++ Die Emotionen beider Akteursgruppen müssen medial stärker thematisiert, unterschiedliche Ansprüche an journalistische Arbeit öffentlich reflektiert werden +++ Wissenschaftlerinnen fordern: Medien sollten ihr Potenzial als Instanz zur Förderung von Resilienz in Krisen ausbauen +++

Die andauernde Aufarbeitung der Ahrtalflut 2021 bedarf auch einer kritischen Reflexion der Rolle der Medien. Dabei ist die Kritik an der Berichterstattung zur Flutkatastrophe zum Teil darauf zurückzuführen, dass Journalist*innen und Betroffene vor Ort unterschiedliche Ansprüche an Medien sowie divergierende Verständnisse journalistischer Rollen und Arbeitsweisen haben. Werden diese Unterschiede nicht öffentlich verhandelt, können Missverständnisse entstehen, die die Rezeption der Berichterstattung vor Ort beeinträchtigen. Der Wunsch nach einer stärkeren Thematisierung von Emotionen verbindet jedoch beide Akteursgruppen und bietet die Chance einer zukünftigen besseren Verständigung.

Das sind zentrale Erkenntnisse der Studie „Berichten über Leid und Katastrophen“, aus der die Otto Brenner Stiftung heute in Frankfurt erste Ergebnisse vorgestellt hat. Die Untersuchung erhebt durch insgesamt zwanzig Leitfadeninterviews erstmals die Sichtweise der Betroffenen und Helfenden zur Ahrtalkatastrophe und stellt die Erkenntnisse den Wahrnehmungen der Journalist*innen gegenüber, die von vor Ort berichteten: „Mit Betroffenen zu sprechen, lieferte viele neue Eindrücke, auch über Missverständnisse zwischen ihnen und Journalist*innen. Diese lassen sich klären, sobald man sie kennt“, erläutert Studienleiterin Marlis Prinzing (Macromedia Hochschule Köln) den Ansatz des Forscherinnenteams.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Betroffene vor Ort fordernde Erwartungen an die zeitlichen Kapazitäten der Journalist*innen hegten. Arbeitsroutinen, der Arbeitsaufwand für die Beitragsproduktion und Abgabefristen waren den Interviewten jedoch kaum bekannt. Zudem wurden Journalist*innen nicht nur in ihrer Rolle als Berichterstatter*innen gesehen, sondern von ihnen wurde aktives Eingreifen und konkrete Hilfe bei Aufräumarbeiten erwartet. Dass die journalistische Rolle – zu der das Recherchieren, Einordnen, Hinterfragen der Geschehnisse und der aktuellen Entwicklungen im Flutgebiet gehört – mindestens Vorrang vor einem engagierten Mithelfen etwa beim Ausräumen eines Kellers hat, war nur wenigen Gesprächspartner*innen bewusst. Entstand bei den Betroffenen in der ersten Begegnung mit Journalist*innen ein negativer Eindruck, konnte dies eine verminderte Gesprächsbereitschaft und einen generell kritischeren Blick auf Medienarbeit zur Folge haben.

Statement von OBS-Autorin Marlis Prinzing: Die Medien wurden unzureichend in  die Krisenkommunikation eingebunden. Das muss sich ändern.

Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, sieht deshalb Journalist*innen in der Pflicht, „stärker auf die Vermittlung von Grundwissen über ihre Arbeitsweisen und die Funktion von Berichterstattung zu setzen“. Dazu gehöre auch „öffentlich über widersprüchliche Erwartungen und den jeweiligen Umgang damit zu reflektieren“, so Legrand.

Deutlich wird in der Untersuchung, dass sich Betroffene wie Helfende vor Ort Mitgefühl erhofften, in der direkten Interaktion mit Journalist*innen sowie in der Berichterstattung. Sie artikulieren den expliziten Anspruch, Emotionen mehr Raum in der Medienberichterstattung zu geben. „Emotionen öffentlich zu teilen, kann die erlebte Empathie stärken. Unsere Studie zeigt, dass dies in sensibler, nicht-voyeuristischer Form in der Berichterstattung weiter aufgewertet werden könnte“, so Studienautorin Mira Keßler (Ruhr-Universität Bochum).

Neben divergierenden Erwartungen an die journalistische Arbeit konstatieren die Wissenschaftlerinnen auch große Übereinstimmungen zwischen Betroffenen, Helfenden und Journalist*innen. Dass Medien einerseits Positives beschreiben, konstruktiv berichten und Lösungen aufzeigen sollten, traf auf Zustimmung. Ebenso wurde die Erwartung artikuliert, dass die Berichterstattung nicht ausschließlich politischen Anlässen folgen darf, sondern sich als Kritikerin von Schieflagen profilieren muss. „Mitgefühl ohne Voyeurismus zeigen, positive Geschichten mitten im Flut-Chaos entdecken, Fehlleistungen, die die Krise noch schlimmer machten, kritisieren: Die Erwartungen an den Journalismus sind hoch. Vieles wurde eingelöst“, resümiert Studienautorin Melanie Radue (Universität Passau) und verweist auf einen in der Untersuchung ergänzend vorgenommenen kursorischen Abgleich von Wahrnehmungen der Interviewten mit der tatsächlichen Berichterstattung.

Für die Zukunft gilt es, schlussfolgern die Forscherinnen, sich auch medial besser auf Krisenberichterstattung einzustellen, unter anderem durch eine bessere Zusammenarbeit mit Behörden bei Katastrophenlagen. „Die Flut im Ahrtal 2021 erreichte auch deshalb so katastrophale Ausmaße, weil Medien unzureichend in die Krisenkommunikation eingebunden wurden. Das muss sich in Zukunft ändern“, so Marlis Prinzing.

Zur Informationsseite zum OBS-Arbeitsheft 114

Kurzfassung herunterladen oder Langfassung kostenfrei vorbestellen ⬇️

Zur Informationsseite zum OBS-Arbeitsheft 114. Foto der Ahrtalflut 2021

Marlis Prinzing/Mira Keßler/Melanie Radue: Berichten über Leid und Katastrophen. Die Ahrtalflut 2021 aus Betroffenen- und Mediensicht sowie Lehren für künftige Krisen, OBS-Arbeitsheft 114, Frankfurt am Main.

pdf-Download

Pressemitteilung als pdf-Datei


Kontakt zu den Autorinnen:
Dr. Marlis Prinzing
Macromedia Hochschule Köln
Telefon: 0170-5401575
E-Mail: m.prinzing(at)macromedia.de

Kontakt zur Otto Brenner Stiftung:
Otto Brenner Stiftung
Geschäftsführer
Jupp Legrand
Telefon: 069 - 6693 2810
E-Mail: info(at)otto-brenner-stiftung.de
X (Twitter): @OBSFrankfurt
www.otto-brenner-stiftung.de

 

Aktuelles aus der Stiftung

Auszeichnung für behinderte Journalist*innen vergeben

Fotos der Gewinner*innen der Auszeichnung für behinderte Journalist*innen 2024