Die Ergebnisse seiner Recherchen zeigen, dass die zunehmend offen ausgelebte Judenfeindschaft den Alltag von Betroffenen massiv beeinträchtigt, während es vielen nichtjüdischen Menschen schwerfällt, das Problem überhaupt zu erkennen: „Antisemitismus kommt in allen gesellschaftlichen Bereichen vor, vom Klassen- und Lehrerzimmer, über Polizei und Justiz bis zur eigenen Nachbarschaft. Meist wird er jedoch nur als tradierter Antisemitismus erkannt, der auf die offene Markierung von Jüdinnen und Juden als ‚andersartig‘ abzielt", resümiert Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. Die Arbeit von Kraske legt dar, dass 75 Jahre nach der Staatsgründung Israels jedoch neuere Varianten, der sogenannte sekundäre Antisemitismus, der den Holocaust leugnet oder relativiert, und der israelbezogene Antisemitismus als Äußerungsform antijüdischer Ressentiments vorherrschen. Mit diesen „modernen“ Ausdrucksformen sei Antisemitismus gesellschaftlich weit weniger tabuisiert und werde oft sogar akzeptiert, heißt es in der Analyse. Das „Bagatellisieren“ und „Kleinreden“ spezifischer antisemitischer Äußerungen oder Handlungen, insbesondere aufseiten der Sicherheitsbehörden, trage dazu bei, dass viele Betroffene Übergriffe überhaupt nicht melden. Dies führt dazu, das Problem quantitativ massiv zu unterschätzen. „Viel spricht für ein großes Dunkelfeld, das offizielle Fallzahlen weit übersteigt“, so Kraske.
Darüber hinaus kommt es in deutschen Institutionen nach antisemitischen Vorfällen häufig zu einer sogenannten Täter-Opfer-Umkehr. Als Beispiel nennt Kraske Schulen. Anstatt Täter:innen zu sanktionieren, komme es immer wieder vor, dass die von antisemitischem Mobbing Betroffenen die Schulen verlassen. Eingeordnet wird auch der Documenta-Skandal aus 2022, den der Autor als einen „Seismographen für den Umgang mit Antisemitismus in Deutschland“ wertet. Dieser zeige auf drastische Weise, „wie groß die Unkenntnis über antisemitische Stereotype ist, wie weit aber auch der gesellschaftliche Unwille verbreitet ist, Antisemitismus konsequent zu ächten“.