+++ Mehr als 300 ExpertInnengremien beraten in der Bundespolitik, wichtige Informationen über ihre Mitglieder liegen jedoch kaum vor +++ OBS-Studie analysiert erstmals systematisch die Profile der Sachverständigengremien +++ wissenschaftliche Befunde identifizieren Defizite in der Zusammensetzung und konstatieren Intransparenz bei der Berufung +++ InteressenvertreterInnen aus der Wirtschaft sind überrepräsentiert und wissenschaftlichen BeraterInnen fast gleichgestellt +++ gemeinwohlorientierte Akteure der Zivilgesellschaft bleiben hingegen unterrepräsentiert +++ Verfahren für die Berufung in Gremien sind nicht formalisiert und kaum nachvollziehbar +++
Nur 14 Prozent der in die Politikberatungsgremien auf Bundesebene berufenen Mitglieder sind gemeinwohlorientierte Akteure aus zivilgesellschaftlichen Organisationen. Gegenüber VertreterInnen wirtschaftlicher Interessen bleiben sie stark unterrepräsentiert, die Gefahr einer systematischen Verzerrung der ExpertInnenvorschläge an die Politik wird so begünstigt. Das ist ein zentrales Ergebnis der Studie „Gut beraten? Zur Rolle der Zivilgesellschaft in Sachverständigengremien“, die die Otto Brenner Stiftung heute veröffentlicht.
Die Autorinnen der innovativen Untersuchung, Siri Hummel und Laura Pfirter vom Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft, haben erstmalig die Zusammensetzung der mehrere hundert Gremien starken Beratungslandschaft auf Bundesebene analysiert – und zeigen sich vom Ergebnis überrascht: „Dass WirtschaftsvertreterInnen 29 Prozent aller Gremienmitglieder stellen und damit fast so häufig als ExpertInnen geladen werden wie WissenschaftlerInnen, die ein Drittel der Gremien besetzen, war so nicht zu erwarten“, konstatiert Sozialwissenschaftlerin Laura Pfirter. Schließlich sei, neben der Bereitstellung von Expertise, immer wieder auch die Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ein erklärtes Ziel der einberufenden Politik. „Angesichts der marginalen Vertretung gemeinwohlorientierter Perspektiven aus der Zivilgesellschaft, die auch noch schwächer vertreten sind als behördliche und politische Akteure, kann dieses Ziel nur als gescheitert bezeichnet werden“, bilanziert Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. Allerdings gibt es auch Unterschiede zwischen den Gremien, abhängig von der ministeriellen Zuständigkeit: Eine vergleichsweise gute Einbindung gemeinwohlorientierter Belange kann die Studie für ‚klassische‘ Themenfeldern der Zivilgesellschaft nachweisen, etwa in der Wohlfahrts-, Familien- oder Entwicklungspolitik. Kaum Gehör finden die zivilgesellschaftlichen Belange hingegen in den Gremien der Finanz-, Wirtschafts- und Justizministerien.
Auch in der Zusammensetzung der eingeladenen zivilgesellschaftlichen RepräsentantInnen konstatieren die Forscherinnen eine systematische Unwucht. Die Zivilgesellschaft wird meist durch Großorganisationen (Kirchen, Wohlfahrts- und Naturschutzverbände, Gewerkschaften) vertreten. Dies werde nicht nur dem fortscheitenden Pluralismus in der Gesellschaft nicht gerecht, bilanziert die Untersuchung, sondern zeige auch „ein fehlendes Verständnis für die Vielfältigkeit der Zivilgesellschaft vonseiten der Politik“.